(Aus: Moers Festival-Blog 2015 – Scroll down for English version)
Eigentlich war es anders geplant. Dieser Blog sollte in seinen verdienten Sommer- und Winterschlaf verabschiedet werden, um dann einige Wochen vor dem nächsten Festival wieder aufgeweckt zu werden. Doch auf Grund des Todes von Ornette Coleman, der 1981 und 2011 in Moers aufgetreten ist, haben wir diesen Plan geändert und schicken noch einen Beitrag als Nachzügler hinterher.
Am vergangenen Samstag fanden die Trauerfeierlichkeiten für Ornette Coleman statt. Ort war die Riverside Church in Harlem, die für ihr politisches Engagement und mit knapp 120 Metern als höchste Kirche in den USA bekannt ist.
Mitglieder der Familie und eingeladene Gäste trafen sich vor der eigentlichen Trauerfeier in einem kleinen Nebenraum dieser gewaltigen Kirche und bekamen Gelegenheit zum „Viewing“, dem Abschiednehmen am offenen Sarg. Die Trauerfeier, der „Funeral Service“, begann unter großer öffentlicher Anteilnahme um 11.00 Uhr und dauerte über dreieinhalb Stunden. Noch nie habe ich so eine lockere, heitere Trauerfeier erlebt. Fast jeder Redner begann mit einem Scherz oder wählte zumindest einen humorvollen Einstieg. Die zahlreichen Redebeiträge von Weggefährten, Journalisten, Dichtern, Schriftstellern, Musikern und vor allen Dingen Mitgliedern der Familie wurden von kurzen musikalischen Beiträgen unterbrochen – oder umgekehrt, je nachdem wie man es sehen möchte. Der musikalische Reigen begann mit Beiträgen von Pharoah Sanders, Cecil Taylor, Henry Threadgill & Jason Moran, Geri Allen & Ravi Coltrane, Jack DeJohnette & Savion Glover und endete mit der Prime Time Band und einer Allstar Band unter der Leitung von Denardo Coleman. Nach der Trauerfeier ging es zum „Internment“ auf den Woodlawn Cemetery in die Bronx und anschließend zum „Repass“ in ein Restaurant nach Harlem.
Am meisten haben mich die Wortbeiträge, die sogenannten „Reflections“, beeindruckt. Jeder Redner (u.a. Larry Blumenfeld, Carl Berger und Yoko Ono) berichtete von seinen ganz persönlichen Erlebnissen mit Ornette. Auch wenn ich nicht annähernd so viele Begegnungen mit ihm vorweisen kann, möchte ich hier doch von einigen Erlebnissen berichten, die sich alle während der Trauerfeier noch einmal vor meinem geistigen Auge abspielten:
Zwei Jahre nachdem ich Ornette Coleman zum ersten Mal live erlebt hatte (1981 mit Primetime in Moers!) begegnete er mir in einem Interview mit Joachim-Ernst Berendt wieder. Bei diesem Interview, das ich im Juni 1983 für den Deutschlandfunk geführt hatte, ging es um Musikjournalismus und Musikkritik. Berendt sprach dabei über die Fehleinschätzung der klassischen Jazzkritik in Bezug auf Musiker wie Thelonius Monk und Ornette Coleman und lieferte indirekt die Begründung, warum Ornette ein Outsider in einer Outsider-Musik war:
Und am Beispiel von Albert Ayler räumte Berendt ein, auch nicht frei von Fehlurteilen gewesen zu sein:
(Zwei Auszüge aus einem Interview mit Joachim-Ernst Berendt am 9. Juni 1983 in seinem Wohnhaus in der Nähe von Baden-Baden)
Meine erste persönliche Begegnung mit Ornette fand dann einige Jahr später, im März 1987 im Stadtgarten statt. Wir hatten gerade im September 1986 den Konzertsaal eröffnet und bekamen die Gelegenheit, Ornette Coleman mit der Prime Time Band für zwei Tage zu buchen. Knut Fischer, der damalige WDR-Fernsehredakteur mit dem wir später auch die legendäre Off-Show produziert haben, bot finanzielle Unterstützung an. Knut Fischer wünschte sich als Ergänzung zum Konzertmitschnitt ein Interview mit Ornette Coleman. Der Journalist Michael Rüsenberg wurde engagiert, und ich wurde gebeten, Ornette für das Interview anzufragen. Die Antwort war überraschend: Ornette bzw. Denardo verlangte für das Interview ein Honorar von 20.000.- DM. (Diesen Betrag habe ich nicht vergessen. Genau so wenig, wie das dazu im Vergleich bescheidene Mitschnitthonorar von 8.000.- DM.) Wenn ich allerdings das Interview führen würde, so Denardo, würde Ornette nichts dafür verlangen. Der Grund: Denardo hatte Ornette berichtet, dass ich Veranstalter des Konzerts und Musiker war. Mit gefühlten fünf Minuten Vorbereitungszeit für mein erstes Interview in Englisch (ohne www!), vor zwei riesigen Fernsehkameras und mit einem Musiker, den ich schon damals sehr respektierte, ging es auf die Bühne. (Das erklärt vielleicht auch, warum ich bei diesem Interview etwas unbeholfen wirke und meine Fragen ablese. Und ja, mein Englisch ist inzwischen etwas besser geworden. Und nein, keine Ahnung, wer das damals mitgeschnitten und auf youtube hochgeladen hat …)
Es sollten dann wieder einige Jahre bis zu meiner nächsten persönlichen Begegnung mit Ornette vergehen. Im Januar 1993, als die Vorbereitungen für die 1. Kölner MusikTriennale (1994) auf Hochtouren liefen, reiste ich nach New York um Ornette von meinem bis dahin aufwändigsten Projekt als Kurator zu überzeugen: Meine Idee war, ihn mit seiner Vergangenheit (dem akustischen Quartett), seiner Gegenwart (der Primetime Band) und der Zukunft (einer Auftragskomposition für die Triennale) an zwei Abenden in der Kölner Philharmonie zu zeigen. Um es kurz zu machen: Alles hat stattgefunden und es gibt viele Geschichten dazu zu erzählen. Eine ist mir jedoch besonders im Gedächtnis geblieben, und sie sagt auch einiges über Ornettes musikalisches Selbstverständnis aus.
Für die Auftragskomposition („Dancer’s Project“ u.a. mit Savion Glover) warteten wir gemeinsam mit dem Dirigenten und dem Orchester auf die Zusendung der Noten. Aber diese Noten kamen nicht. Unsere letzte Hoffnung war, dass Ornette die Noten zu den Proben nach Köln mitbringen würde. Doch auch das tat er nicht. Er stellte sich stattdessen vor das Orchester, spielte eine Melodie auf dem Saxophon und sagte wortwörtlich zu den Musikern: „You have to feel the Music!“. Der Dirigent meldete sich daraufhin krank. Wir suchten und fanden in Braxton Blake einen neuen Dirigenten, der aus Ornettes Melodie-Fragmenten in Nachtarbeit ein Arrangement baute und das Ganze gemeinsam mit der „Musikfabrik NRW“ zu einem glücklichen Ende führte.
In den Folgejahren hatte ich Ornette in vielen Konzerten live gehört und ihn und Denardo oft in New York getroffen. Als ich dann 2006 Moers übernahm, lag es nahe, Ornette bereits zu meinem ersten Festival einzuladen. Doch wenn ich so in Moers begonnen hätte, wohin wären dann die Erwartungen in den Folgejahren gestiegen? Außerdem wollte ich etwas Besonderes präsentieren. Etwas, das Ornette noch auf keinem anderen Festival gezeigt hatte. So sollte es noch bis zum Jahr 2011 dauern, bis wir den Plan perfekt machten. Nachdem wir dann Ornette frühzeitig als Festivalmusiker angekündigt hatten, häuften sich die Anfragen, an genau welchem Tag und zu genau welcher Uhrzeit er auftreten würde. Ahnend, dass diese Anfragen überwiegend von Personen stammten, die sich offensichtlich nicht für die anderen Gruppen des Festivals interessieren würden, zogen wir die Ankündigung wieder zurück und sagten das Konzert „offiziell“ ab. So ist Ornette Colemann mit seinem Quartett beim 40. Moers Festival dreißig Jahre nach seinem ersten Konzert in Moers als unangekündigter Überraschungsgast vor ausverkauftem Zelt in Moers aufgetreten.
Dies war sein letztes Konzert in Deutschland.
(English version)
This was not the plan. This blog should have gone into its well-deserved summer break and winter sleep. It should have been woken up only a few weeks before the next festival. However, due to the passing of Ornette Coleman who performed at Moers in 1981 and 2011 we changed our plans and uploaded this late post.
Ornette Coleman’s funeral service took place last Saturday at the Riverside Church in Harlem which is renowned for its political commitment and being the tallest church in the US with its nearly 120 metres in height.
Before the actual funeral service, family members and invited guests gathered in a small room adjoining this mighty church for a last viewing at the open casket in order to say their goodbyes. In a crowded church, the funeral service started at 11 am and took more than three and a half hours. Never before have I experienced such a relaxed and fun filled funeral. Nearly each speaker started off with a joke or chose some humorous line to get started. Numerous speeches by fellow artists, journalists, poets, writers, musicians and especially the family were interrupted by short musical contributions – or vice versa depending how you want to look at it. The musical delights kicked off with contributions by Pharoah Sanders, Cecil Taylor, Henry Threadgill & Jason Moran, Geri Allen & Ravi Coltrane, Jack DeJohnette & Savion Glover and ended with the Prime Time Band and an all star band lead by Denardo Coleman. After the funeral service the family and friends continued on to the interment at Woodlawn Cemetery in the Bronx, and then gathered at a Harlem restaurant for the repass.
I was most impressed by the so called ‚reflections‘. Each one of these speeches – by Larry Blumenfeld, Carl Berger and Yoko Ono among others – talked about personal memories with Ornette. Even though I cannot vouch for nearly as many encounters with him I would nevertheless like to tell you about some moments which I fondly reflected upon during the funeral service.
Two years after I had seen Ornette Coleman live for the first time (1981 with Prime Time in Moers!) I came across him again as part of an interview with Joachim-Ernst Berendt. This interview – which I did for Deutschlandfunk in June 1983 – was all about music journalism and music criticism. Berendt was talking about the misjudgement of typical jazz critics in regard to musicians such as Thelonious Monk and Ornette Coleman and indirectly explained why Ornette was an outsider within the outsider music scene. Taking Albert Ayler as an example Berendt admitted to also have made mistakes in the past.
My first personal encounter with Ornette took place a few years later, at the venue ‚Stadtgarten‘ in March 1987. We had just opened this concert hall in September 1986 and had the opportunity to book Ornette Coleman with the Prime Time Band for two days. The former WDR TV Editor with whom we later produced the legendary ‚Off-Show‘, Knut Fischer, offered financial support. In addition to a concert recording Knut Fischer also asked for an interview with Ornette Coleman. They hired the journalist Michael Rüsenberg for the job and I was asked to invite Ornette to the interview. The answer was somewhat surprising: Ornette, or moreover Denardo, was asking 20,000 Deutschmarks for the interview. (I could never forget that figure, nor the compared to this request small fee of 8,000 Deutschmarks for the concert recording.) However, if I was to be the interviewer, Ornette would do it for free, according to Denardo. The reason was that Denardo had told Ornette I was the organizer of the concert and a musician myself. So I went on stage with what felt like only five minutes of preparation for my first ever interview in English (all before the age of the World Wide Web), and found myself in front two giant TV cameras with a musician who I respected a lot back then already. (Which probably explains why I seem to feel rather awkward during the interview and am reading my questions of a piece of paper. And yes, my English has improved since. And no, I have no idea who recorded it back then and uploaded it onto YouTube.)
Another few years would go by until my next personal encounter with Ornette. In January 1993, when we were busy with the preparations for the first Music Trienniale Köln in 1994, I travelled to New York to convince Ornette about my most complex project as curator as yet. My idea was to show him with his past (the acoustic quartet), his present (the Prime Time Band) and his future (a contracted composition for the Triennial) on two evenings at the Cologne Philharmonic. To cut it short, it all took place as planned and many stories could be told about it. Though, one stuck with me in particular and it also says a lot about Ornette’s understanding of music.
For the contracted composition (‚Dancer’s Project‘ with Savion Glover among others), we, including the conductor and the orchestra, were eagerly waiting for the music to be sent to us. However, it just never came. Our last hope was that Ornette would at least bring the notation to the rehearsals in Cologne. But he didn’t do that either. Instead he just stood in front of the orchestra, played a melody on his sax and literally told the musicians: “You have to feel the Music!”. In response, the conductor called in sick. We looked for a replacement and with Braxton Blake we found a new conductor who created an arrangement from Ornette’s melody fragments over night and did succeed in bringing it to a happy ending together with the ‘Musikfabrik NRW’.
In the following years I had heard Ornette live at many more concerts and also met both him and Denardo frequently in New York. When I took over Moers Festival in 2006 Moers, it only seemed logical to invite Ornette to my first festival. But if I had started off my first Moers festival with him what sort of benchmark would I have created for the years to come? Apart from that I really wanted to show Ornette with something extraordinary, something Ornette had never done at any other festival. So it took until 2011 to really nail our plans. After we had announced Ornette as one of the musicians at the festival we received many requests on which day and at what time exactly he would perform. Suspecting that these requests were in fact largely coming from people who had no interest in the other artists at the festival we withdrew the announcement and ‘officially’ cancelled his concert. And this is how thirty years after his first concert at Moers, Ornette Coleman and his quartet performed at the 40th Moers Festival as unannounced surprise guests before the audience at a sold out tent in Moers.
That was his last concert in Germany.
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.