Köln hat alles, was man braucht

(Aus: Kölner Stadt-Anzeiger, 11.01.2003)

Die Debatte um Köln als Kulturmetropole hält an. Reizt die Stadt ihr Potenzial aus? Dazu diesmal ein Beitrag aus dem Blickwinkel der Freien Szene.

Traditionell nehmen die Bilder und Ausstellungen, Aufführungen und Performances, Tonträger, Filme und Bücher der Freien im Kölner Kulturleben eine wichtige Rolle ein. Schließlich ergänzen sie nicht nur das Kulturangebot, sondern sind oft Antreiber und Produzenten innovativer Beiträge mit internationaler Beachtung. Der Begriff „frei“ weist selbstredend darauf hin, dass deren Akteure Freiberufler, also Selbständige sind, die der Gesellschaft unaufgefordert kulturelle Leistungen zur Verfügung stellen.

Da die Nachfrage dem Angebot in den wenigsten Fällen entspricht, bedarf es einer Subvention, um die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage zu schließen. Dabei sind die Kulturschaffenden selbst die wichtigsten (und oft die einzigen) Subventionsgeber, da sie in der Regel auf eine angemessene Honorierung ihrer Leistungen verzichten müssen. Diese praktizierte Selbstausbeutung würde auch von den Betroffenen bis zu einem gewissen Maß klaglos hingenommen, gäbe es nicht an anderer Stelle erhebliche Anstrengungen der öffentlichen Hand, bestimmte kulturelle Institutionen – wie z.B. einen Musiktheaterbetrieb – mit bis zu 90 Prozent seiner Gesamtkosten zu subventionieren.

Auf dem letzten Platz

Da es also einen Konsens gibt, dass Kultur finanziell unterstützt werden muss, kommt es nun darauf an zu bewerten, welche Projekte, in welchem Umfang und – vor allem – mit welcher Zielsetzung öffentlich subventioniert werden. Und hier sieht die Zwischenbilanz der Kölner Kulturpolitik nicht sehr überzeugend aus. Von den circa 95 Millionen Euro Ausgaben für Kultur (dies entspricht ca. 3,7 Prozent des Gesamtetats) werden knapp 2,4 Millionen Euro (dies entspricht 2,5 Prozent des Kulturetats) im weitesten Sinne für die Aktivitäten der Freien Szene verwendet. Damit besetzt Köln in beiden Disziplinen den letzten Platz auf der Liste vergleichbarer Großstädte in der Bundesrepublik.

Selbstverständlich ist Köln weder Stadtstaat noch Landeshauptstadt. Das ist Frankfurt auch nicht, doch gibt man dort zumindest zur- zeit noch mehr als das Doppelte für Kultur aus. Wenn also Köln dennoch – zumindest oberflächlich betrachtet – über ein quantitativ starkes Kulturangebot verfügt, liegt dies in erster Linie an den Aktivitäten der Freien Szene, die für ein Bruchteil dessen, was die Stadt für Kultur ausgibt, den Löwenanteil dessen, was Köln zu bieten hat, produziert.

Es drängt sich der Eindruck auf, dass die falschen Stellen künstlich bewässert werden. Viel Wasser versickert – um im Bild zu bleiben – in kulturellem Brachland, ohne jemals Früchte reifen zu lassen, während an anderer Stelle schon mit relativ wenig Einsatz viel Neues entsteht. Es ist auch offensichtlich, dass der städtische Geldfluss in die eigenen Institutionen überwiegend der Pflege des kulturellen Erbes gewidmet ist, während sich die Freie Szene auch mit dem Neuen beschäftigt.

Fast alle Verantwortlichen wissen – oder spüren zumindest -, dass dieses Unverhältnis auf Dauer nicht tragbar ist. Bleibt es bestehen, sind nicht nur kultureller Stillstand, sondern auch die verschiedensten Formen von Abwanderung die Folge. Tatsächlich stehen einige Institutionen der Freien Szene kurz vor dem Kollaps und werden nur noch vom Idealismus einiger weniger am Leben gehalten. Andere haben sich bereits still und leise verabschiedet oder die Reise in die neue Hauptstadt angetreten. Über viele Jahre hinweg – seit den 60ern bis weit hinein in die 80er – hat Köln vom permanenten Zuzug junger Kulturschaffender aus einem weiten Umkreis profitiert. Von deren Energie lebt die Kulturstadt bis heute.

So war es z.B. die Gründung der ersten Jazzklasse in Deutschland unter Kurt Edelhagen an der Kölner Musikhochschule Ende der 60er Jahre, die einen Sog auslöste und das Fundament für Kölns Status als Musikstadt legte. Doch spätestens seit dem Beginn der 90er Jahre ist mit dem neuen Berlin ein Kulturstandort entstanden, der auf Grund seiner Wildheit und Unbekümmertheit in vielen Aspekten attraktiver als Köln ist. Wenig zuträglich für das Kölner Kulturleben ist auch das verzweifelte Bemühen der Landesregierung, das Ruhrgebiet gegen Köln zu positionieren – gespeist aus dem fragwürdigen Ehrgeiz, dort einen weit strahlenden Kulturstandort entstehen zu lassen.

Ein solches Ziel lässt sich nicht mit Strukturmaßnahmen bewerkstelligen, allenfalls befördern. Denn eine der wesentlichen Voraussetzungen für eine Kulturstadt ist eine gewisse „metropolitane“ Grundausstattung, eine Lebensqualität, die schwer zu beschreiben, noch schwerer zu erklären und überhaupt nicht künstlich herzustellen ist: das kulturelle „Terroir“, über das Köln seit über 2000 Jahren verfügt. Die Kulturpolitik muss sich nur darauf einlassen!

So sollte sich das politische Handeln – neben der Verpflichtung zur Bewahrung des kulturellen Erbes – auf die Schaffung optimaler Rahmenbedingungen, die Stärkung der Kulturszenen und das Setzen profilschärfender Akzente konzentrieren. Positive Ansätze dazu gab und gibt es zur Genüge – so die Kölner Musiktriennale, ein internationales Musikereignis, das in die in Köln gewachsene Musiklandschaft eingebettet ist, oder die lit.Cologne mit ihrem intelligenten und gleichzeitig populären Umgang mit Literatur.

Vieles bleibt Flickwerk

Doch vieles Andere bleibt Flickwerk, scheitert am kurzfristigen Denken der Politik oder wird verdrängt vom täglich steigenden Bedarf an Krisenmanagement. Eine nachhaltige Stärkung des Kölner Kulturlebens hin zu einer internationalen Reputation erfordert neben der Verbesserung der Rahmenbedingungen den Einsatz zusätzlicher finanzieller Mittel. Eine Umverteilung innerhalb der Kultur zulasten der städtischen Institutionen (nicht zu verwechseln mit dem anachronistischen Begriff „Hochkultur“) und zu Gunsten der freien Institutionen und Akteure ist allenfalls die zweitbeste Lösung. Sollte es jedoch nicht möglich sein, den Kulturhaushalt besser auszustatten, muss sich die Politik über ihre Prioritäten klar werden. Geld ist ja immer noch da, die Frage ist nur, wofür es ausgegeben wird. Für die Kulturpolitik ist es deshalb an der Zeit, besonders auch im Hinblick auf die Bewerbung Kölns als Kulturhauptstadt Europas, die „alte“ Prioritätenordnung ernsthaft zu hinterfragen und diesbezüglich den Mut zu einer offenen Debatte aufzubringen.

Reiner Michalke ist Sprecher des „Kultur Netz Köln“, des Zusammenschlusses der Freien Kulturszene in Köln, und Programmchef im Kölner „Stadtgarten“.